Deutschland hat 16 militärische Auslandsstützpunkte – Kuba in 67 Ländern Ärztebrigaden: Interview mit einem Arzt auf Mission

Carlos

Genauso unterschiedlich wie diese Formen der Außenpolitik klingen, genauso unterschiedlich sind auch die Motive der Politik dieser Länder. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt an der Tatsache, dass es sich bei diesen Ländern um zwei unterschiedliche Gesellschafts- und Wirtschaftsmodelle handelt – das Modell der sozialistischen Insel gegenüber dem des kapitalistischen.

2016 erhielt Kuba aufgrund seines wichtigen Beitrags in der Bekämpfung der Ebola-Epidemie von der kanadischen NGO Help Fight Ebola Canada den Preis Friends of Africa Humanity Award. Mehr als 70 000 medizinische Fachkräfte Kubas arbeiteten in Gebieten, welche von Ebola betroffen sind. Kuba half als erstes Land nach dem Erdbeben in Haiti mit der „Henry Reef“ Ärztebrigade. Auch nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal schickte Kuba medizinisches Personal. Außerdem wurden bzw. es werden immer noch Kinder aus Tschernobyl in Kuba behandelt und unterrichtet. Die Liste könnte man noch fortführen, denn Kuba stellt in über 67 Ländern medizinische Fachkräfte um die medizinisch Versorgung in Entwicklungsländern zu verbessern bzw. herzustellen.

Wie kann es sein, dass eine ehemalige Kolonie trotz ökonomischer Schwierigkeiten in der Lage ist die medizinische Versorgung anderer Entwicklungsländer zu unterstützen, während „ehemalige“ Kolonialmächte (wie bspw. USA , Deutschland) nicht einmal ihrer Bevölkerung ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zur Verfügung stellen können bzw. wollen? Kubas Internationalismus manifestiert sich u.a. besonders in seiner Solidarität mit vielen ehemaligen Kolonialländern bzw. Entwicklungsländern egal ob durch die Ärztebrigaden oder Bildungskampagnen.

In Venezuela befindet sich das medizinische Fachpersonal mit dem Projekt „Barrio Adentro Salud“, welches am 16. April 2003 durch die Initiative Hugo Chavez´ und durch die Kooperation mit Fidel Castro Ruz ins Leben gerufen wurde.

Die Möglichkeit, das Projekt von einem kubanischen Arzt erklärt zu bekommen, bietet sich mir als der Neunjährige Sohn meiner Nachbarin krank wird und ich den Kinderarzt , Carlos Rivera Keeling bei uns im Haus treffe. Er ist seit 2001 graduierter Medical General-Integral (MGI – Allgemeinmediziner) und hat außerdem 2012 eine Fortbildung in der Hämatologie absolviert. Als ich erfahre, dass er selbst u.a. in Venezuela war, bitte ich ihn um ein Treffen. Er erklärt sich freundlicherweise bereit mir mehr über seine Arbeit in Venezuela zu erzählen und daraus resultieren sich diese Fragen:

Wie hast Du zum ersten Mal vom Projekt „Barrio Adentro Salud“gehört ?

Ganz Kuba wusste von der Situation in Venezuela Bescheid, da Kuba sehr enge Beziehungen zu Venezuela führt. Das war auch schon früher so, als 2003 Hugo Chavez, Fidel Castro Ruz bat, ihm bei seinem Versprechen, die medizinische Versorgung Venezuelas zu verbessern, zu unterstützen. 2002 gab es einen Staatsstreich an Chavez und die Situation war sehr angespannt im Land. Fidel sagte 2003 Chavez zu die venezolanische Bevölkerung mit ÄrztInnen aus Kuba zu unterstützen. Er wandte sich an alle kubanischen MedizinerInnen und bat darum für eine unbestimmte Zeit nach Venezuela zu gehen. Wir alle haben von der Zusage Fidels gehört und die Freiwilligen meldeten sich um die Mission anzutreten.

Wusstest du schon vor deiner Reise was auf dich zukommen wird? Bspw. wie die medizinische Versorgung vor eurer Ankunft war?

Das was wir wussten war, dass wir dem venezolanischem Volk an erster Stelle überhaupt einmal eine medizinische Versorgung bieten wollen. Ich hatte selbst über Venezuela gelesen, dass Privatkliniken sehr hohe Gewinne machten und das auf Kosten der Bevölkerung.

Aufgrund dieses riesigen Privatsektors konnten sich viele keine medizinische Behandlung leisten. Das spielt für die Kliniken kein Rolle, denn die, die es sich leisten können, zahlen so viel, dass es im Endeffekt egal ist, dass sie für den Großteil der Bevölkerung nicht zugänglich sind. Außerdem zogen viele ÄrztInnen in die Hauptstadt, in wohlhabende Viertel, wo sie auf hohe Einnahmen hoffen konnten. Doch so blieb die medizinische Versorgung auf dem Land und in peripheren Gebieten auf der Strecke bzw. war überhaupt nicht vorhanden. Unsere Aufgabe war es, direkt im Barrio (Viertel) allen zugänglich zu sein, dementsprechend hieß auch das Projekt, welches Chavez mit Fidel ins Leben rief „Barrio Adentro Salud“.

Wo wurdet ihr untergebracht und wie lange warst du in Venezuela?

Als wir am Flughafen empfangen wurden und sie uns bei sich aufnahmen, sahen wir zum ersten Mal die Gegend und das Zimmer, in dem wir für die nächsten Jahre leben und arbeiten würden. Selbstverständlich war uns aber schon im Vorhinein klar, dass wir in Gegenden arbeiten werden, in welchen die Menschen unter prekären Lebensbedienungen leben und keinen Zugang zur medizinischen Versorgung haben, also in recht marginalen Vierteln und in abgelegenen Ortschaften, auf dem Land. Denn als Chavez das venezolanische Volk dazu aufrief die kubanischen MedizinerInnen bei sich auf zu nehmen, fühlten sich die VenezolanerInnen angesprochen, die auch hinter Chavez standen und das waren die einfachen Arbeiterfamilien, die arme Schicht. Wir haben also mit ihnen zusammen gelebt. Es waren Menschen die sich bereit erklärt hatten uns aufzunehmen und das was sie hatten, mit uns zu teilen.

Ich wurde in der Stadt in einem Armenviertel von einer Familie aufgenommen. In diesem barrio waren die Häuser in sehr schlechtem Zustand, doch das hielt uns nicht ab von unserer Arbeit.

Ich bin mit der dritten Gruppe von Medicos Internationalistas (so wurden die MedizinerInnen genannt die sich freiwillig meldeten) am 23. Oktober 2003 nach Venezuela geflogen und blieb dann auch bis 2006. Im Zeitraum vom zehnten Oktober bis Ende Dezember flogen ca. 2000-3000 Medicos Internationalistas nach Venezuela.2006 flog ich aber direkt weiter nach Bolivien, denn die bolivianische Regierung um Evo Morales bat um die Unterstützung der kubanischen MedizinerInnen, genauso wie es in Venezuela auch war. Wir wurden vom bolivianischem Volk aufgenommen und untergebracht unter ähnlichen Bedingung wie in Venezuela.

Du warst drei Jahre lang in Venezuela, was kannst du über die Lebensqualität der VenezolanerInnen sagen, wenn du es mit dem Kubas vergleichst?

Ich war anfangs sehr geschockt über die mangelnde medizinische Versorgung, denn in Kuba ist die medizinische Versorgung für alle gratis und zugänglich. Was mir damals auch sofort aufgefallen ist, war die hohe Kindersterblichkeit, die aber nach unsere Ankunft sank. Nicht selten behandelten wir unterernährte zwölf- bis dreizehnjährige schwangere Mädchen. Das war für mich neu. Aber auch die Analphabetenquote war unglaublich hoch und nicht zu vergleichen mit der Kubas. Durch die Alphabetisierungskampagne „Yo si puedo“ (zu deutsch: Ja, ich kann), welche auch von Chavez und Fidel ins Leben gerufen wurde, flogen viele kubanische LehrerInnen nach Venezuela um den Analphabeten lesen und schreiben beizubringen. Dadurch wurde die venezolanische Bevölkerung nahezu vollständig alphabetisiert. Bis heute läuft das Projekt auch mit dem Präsidenten Maduro weiter.

Wie waren die Bedingungen unter denen ihr gearbeitet habt?

Wie schon gesagt, wir haben in sehr marginalen Vierteln gearbeitet und wurden von einfachen VenezolanerInnen aufgenommen. Wenn sie einen Schrank, einen Stuhl oder einen Tisch übrig hatten, dann gaben sie es uns, denn im selben Raum behandelten wir auch die Menschen aus den Vierteln. Mit der Zeit verbesserten sich die Bedingungen und nach einigen Jahren, wurden für uns Räumlichkeiten gebaut, in welchen wir unter besseren Bedingungen arbeiten konnten. Man kann es sich wie viele kleine Praxen vorstellen mit einem riesigen Wartesaal. Schritt für Schritt verbesserte sich alles.

weitere Häuser aus dem Dorf

Hattest du Kontakt zu venezolanischen ÄrztInnen?

Nein wir hatten nie Kontakt zu ihnen, ganz im Gegenteil. Wir vermieden den Kontakt zu den meisten, denn viele nahmen uns nicht als Unterstützung wahr, sondern als MedizinerInnen die unfähig waren. Es war viel Verachtung die wir gespürt haben, zumindest war dies das Bild, welches uns durch die Nachrichten im Fernsehen und in Zeitungen durch die zu Chavez in Opposition stehenden Medien vermittelt wurde. Es waren haltlose Anschuldigungen, die nur auf Provokation abzielten. Beispielsweise wurde behauptet, dass wir keine wirklichen MedizinerInnen seien und es gefährlich sei, sich von „den kubanischen Ärzten“ behandeln zu lassen. In den oppositionellen Nachrichten wurde die Bevölkerung vor uns gewarnt und da die Opposition Chavez` finanziell sehr mächtig war, schafften sie es von uns ein Bild zu kreieren, das nicht der Realität entsprach. Doch die Menschen aus den Vierteln durchschauten diese Manipulation. Denn wir bewiesen der Bevölkerung, dass wir echte MedizinerInnen waren und wir wurden trotz der Propaganda von der Bevölkerung akzeptiert und mit viel Zuneigung aufgenommen. Wir hatten zu Beginn 60 bis 70 Behandlungstermine pro Tag. Das war unglaublich beeindruckend für uns.

Es kamen sogar Patienten zu uns, die Chavez eigentlich nicht unterstützten. Denn es gab viele Menschen, die zuvor keinen Zugang zur medizinischen Versorgung hatten, sei es aus finanziellen Gründen oder aufgrund großer Entfernung der Praxen. Wie spürten die Dankbarkeit dafür, dass wir gleich im Viertel zugänglich waren und zudem kostenlos Medizin anbieten konnten.

Wie nahmst du die politische Situation wahr?

Es war zu Chavez´ Zeiten kompliziert und ist auch heute mit Präsident Maduro noch so. Denn es gibt eine starke Opposition, die aus den reichsten Unternehmern besteht. Selbstverständlich waren sie nicht mit Chavez´ Plänen für die soziale Gerechtigkeit und der Umverteilung des Reichtums einverstanden. Dieser Interessenkonflikt ist der Grund für die Probleme. Doch die große Mehrheit der Venezolaner begriff, dass Chavez die Wahrheit sprach, egal wie stark die Propaganda gegen ihn war.

Trotz aller Schwierigkeiten, der Armut und der Misere, die ich dort erlebte, war es für mich eine wichtige Erfahrung. Aus Kuba war ich andere Zustände gewohnt und es war wichtig zu sehen, dass das was wir haben, für viele nicht selbstverständlich ist. Dank Chavez und Fidel haben wir es geschafft, dem venezolanischen Volk in dieser schwierigen Zeit zu helfen.

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Links:

Ärztemissionen Cubas

US-Mediziner in Cuba

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