Kleine Beobachtungen und große Veränderungen

Nach Wochen der Vorbereitung und des Entgegenfieberns sind wir Anfang September in Kuba angekommen. „Wir“, das sind acht Menschen verschiedenen Alters und Herkunft, die ganz unterschiedliche Lebenserfahrungen mitbringen. Gemeinsam möchten wir die sozialistische Insel in der Karibik und ihre Bevölkerung kennenlernen, uns politisch weiterbilden und solidarisch engagieren.

Bei der Ankunft in Havanna begrüßten uns neben dem Palmenpark der CUJAE unser Projektleiter Julián und Jurek aus der letzten Gruppe, so dass wir gleich die wichtigsten Infos bekamen. So hatten wir auch sofort die Möglichkeit, in das sprudelnde Treiben der Metropole einzutauchen. Besonders das Busfahren und die Internetnutzung stellen schon Wissenschaften für sich dar.

Nach einer Woche sind wir nun auf der Isla de la Juventud angekommen und genießen die Ruhe in La Demajagua. Wir wurden überaus herzlich begrüßt und in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Hier leben wir im Wohnheim der Universität gleich neben der Fakultät, sodass wir nach dem Tortilla-Avocado-Frühstück nur fünf Minuten zum Spanischkurs laufen müssen. Morgens werden wir von den Hähne geweckt, während uns nachts die Frösche in den Schlaf quaken. Die Isla bietet eine wunderschöne Landschaft mit palmenbewachsenen Hügeln, Pinienwäldern, Sümpfen und Viehweiden. Es wird Marmor abgebaut, der die öffentlichen Parks schmückt. Die Pferdekutschen und Fahrräder sind essentieller Bestandteil des Transportwesens, obwohl es Busverbindungen in jeden Ort gibt.

Bereits in unserer kurzen Zeit hier wurden uns einige Unterschiede zum Leben in Deutschland sehr deutlich. Statt Werbetafeln finden wir in den Bussen den Hinweis, Worte wie „Vielen Dank“, „Verzeihung“ oder „Bitte“ zu benutzen, da es die gemeinsame, häufig überfüllte Fahrt angenehmer macht. Obwohl der Ort, in dem wir leben, sehr klein ist, fehlt es an nichts: Lebensmittel, Internet, Möglichkeiten, um sich zu treffen, und öffentlicher Nahverkehr sind problemlos zu haben. Statt im Supermarkt zehn oder zwanzig verschiedene Ausführungen desselben Produkts vorzufinden, bekommen wir hier frisches Obst und Gemüse direkt aus der Region. Sobald jemand hört, dass unter uns einige Vegetarier*innen1 sind, wird uns gleich frisches Grünzeug vorbei gebracht. Trotz der geringen Bevölkerungerdichte und der relativen Abgeschiedenheit der Isla wird die medizinische Versorgung hier genauso wie im Rest des Landes sichergestellt: das Verhältnis von Ärzt*innen zu Patient*innen liegt bei 1:100. Es besteht außerdem eine große Nähe in der Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen: z.B. verbringt unsere Profesora die Pause mit uns, um während des zweiten Frühstücks über Politik zu sprechen, statt sich in dieser Zeit in ihr Zimmer zurückzuziehen. Sie erzählt von ihrem Leben, ihrer Familie und ihren eigenen Erfahrungen, um uns die kubanische Kultur näherzubringen. Wiederholt kritisiert sie die Tatsache, dass sich Journalist*innen, die über Kuba schreiben, kaum wirklich mit dem Land zu beschäftigen scheinen, weshalb es immer wieder zu dem Vorwurf, das System entspräche einer Diktatur, kommt. Insbesondere in der älteren Generation wird der Rückhalt, den die Revolution in der Bevölkerung hat, sehr spürbar. Auch fällt uns auf, wie gebildet die Kubaner*innen sind: in fast jedem Gespräch werden wir zuerst nach unseren akademischen Interessen gefragt, das Gegenüber berichtet von den eigenen und erzählt sofort großzügig von der kubanischen Geschichte. Für diesen Austausch ist immer Zeit, niemand scheint in Eile zu sein.

Bereits jetzt erleben wir tagtäglich die Verschränkung von aktuellem politischen Geschehen und den jeweiligen historischen Bezügen. Auf der Isla werden wir die Gelegenheit haben, uns näher mit der Person José Martís zu befassen, der hier wie später auch Fidel Castro während der Batista-Diktatur inhaftiert war. Das Gefängnis Modelo Presidio werden wir auch besichtigen.

Derzeit dreht sich in Kuba natürlich alles um den aktuellen Verfassungsentwurf, der in der Bevölkerung diskutiert wird. Wir bekamen bereits die Gelegenheit, an einer Diskussion zu diesem Thema an unserer Universität teilzunehmen. Dabei beeindruckt uns sehr, dass immer wieder betont wird, wie wichtig die Partizipation der einzelnen Kubaner*innen an diesem Prozess ist. Auf den zahlreichen Veranstaltungen zu diesem Thema werden die jeweiligen Anmerkungen und Einwände gesammelt und weitergeleitet. Die neue Verfassung wird uns während der gesamten Projektzeit beschäftigen und eines unserer Kernthemen darstellen. Deshalb werdet ihr hier bald weitere Artikel dazu finden. Wir freuen uns schon sehr, diesen lebendigen Prozess miterleben und dabei Vieles in Erfahrung bringen zu dürfen!

1 Wir haben uns entschieden, in den Artikeln den Gendergap zu benutzen, um kein Geschlecht auszuschließen. Im Spanischen wird dies mittels des „x“ umgesetzt, das sieht dann so aus: lxs revolucinarixs statt los revolucinarios.

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