Die moralischen Herausforderungen des kubanischen Alltags – oder wie Balletbesuche das Leben verändern können (Teil 2)

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Innenansicht des Theaters „Alicia Alonso“ in Havanna (Quelle: Granma)

Kuba ist ein Land der Kompromisse, Kompromisse, die jeder auch mit sich selbst und seinen Idealen machen muss. Es ist ein Unterschied die Realität und deren Widersprüche tagtäglich zu erleben oder von außen ein moralisches Urteil zu sprechen, für welches ich vor 12 Monaten gewissenhaft in die Bresche gesprungen wäre. Mit diesen Hintergedanken maße ich mir auch nicht an, Korruption auf kleinster Ebene, Jineterismo oder Wiederverkäufer als Individuen zu verurteilen. Meiner Meinung nach muss man zwischen auftretenden Phänomenen, Personen, in denen diese augenscheinlich verkörpert sind, sowie ihren Beweggründen und Ursachen differenzieren und diese abstrahiert betrachten.

Moral kommt leichter über die Lippen wenn der Magen voll ist! Umso wichtiger zu verstehen, dass man als Mensch mit vollem Magen und einem höheren Lebensstandard als 85% der Kubaner auch andere Maßstäbe an sich und seine „Kompromisse“ anlegen sollte.
Kompromisse, die jeder immer wieder neu ausfechten muss, um sich in welcher Weise auch immer treu zu bleiben.
Kann man den Kampf gegen Korruption gutheißen und gleichzeitig für 30 CUC Karten auf dem Schwarzmarkt kaufen, die mit Sicherheit nur zum Zweck des Wiederverkaufs für 1.67 CUC gekauft wurden? Womit man anderen Menschen die nicht über die finanziellen Mittel verfügen 28,32 CUC mehr als den Originalpreis zu bezahlen die Chance nimmt, einen besonderen Abend zu genießen.

Ballett der Spitzenklasse

Unsere Karten, die pro Stück im freien Verkauf 10 Moneda Nacional kosten, ermöglichen uns im Oberrang Platz zu nehmen, gezeigt wird eine Kompilation aus Giselle, Schwanensee und Coppelia. Beim Betreten des Theaters laufen wir Alicia Alonso über den Weg, die später eine besondere Ehrung für ihr Lebenswerk und ihr Wirken für das kubanische Ballett bekommen wird.
Die Vorstellung ist atemberaubend, die Qualität der Tänzerinnen und Tänzer und des Ambientes übertrifft alle meine Erwartungen. Das Publikum lebt wortwörtlich mit den Darstellern, Texte oder Gesang werden teils mitgeflüstert. Bekannte „Stars“ oder Familienangehörige durch aufbrausenden Applaus besonders gewürdigt. Die Leidenschaft auf und fern der Bühne ist spürbar und erfasst den ganzen Saal.

Erfüllt und zufrieden mache ich mich auf den Heimweg und plane schon meinen nächsten Ballettbesuch. Kompromisse kommen und gehen mit Wissen und Verantwortung. Ich erfahre, dass der Vorverkauf für die nächste Vorstellung am 8. Januar, in zwei Tagen, um 9 Uhr beginnt und beschließe, den gemachten Kompromiss Kompromiss sein zu lassen. Ein moralisches Eingeständnis zwischen dem was ich erreichen wollte, dem was ich erreichen konnte und dem worauf ich nicht zu verzichten bereit war, in einem spezifischen historischen Moment.
Am 5. werde ich also die Colla machen (Schlange stehen), um Tickets für mich und einige Freunde zu erwerben- auf legalem Weg. Wobei ich, wie hier verraten sei nicht ohne den ein oder anderen Kompromiss auskommen werde.
Kuba ist wie das Leben: Nicht schwarz nicht weiß, es ist ein strahlendes grau.

Wie der Tag der um 5 Uhr begann, nicht wie geplant verlief, einige geglaubte Wahrheiten Lügen strafte, Begriffe neu definierte und letztlich einer der lehrreichsten, schönsten und schlimmsten meines Lebens wurde erfahrt ihr in Teil zwei.

Dieser Artikel ist von Hanno. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihm.

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