Produktivität

Stromeinfall statt Stromausfall

Zwang zu Vegetarismus, Gartenbau und langen Wanderungen – Berichte aus der Spezialperiode

„So dünn waren wir damals“. Katherine hält die Hand in die Luft, zur Faust geballt und spreizt den kleinen Finger ab. „Schließlich sind wir überall mit dem Fahrrad hingefahren“. Der Ventilator rattert, doch der Schweiß steht uns auf der Stirn. Eigentlich haben wir beide schon längst andere Verabredungen, das hält uns aber nicht davon ab noch einen Kaffee von nebenan zu holen und ich höre Katherine gebannt zu. Sie erzählt mir von ihren persönlichen Erlebnissen während der Spezialperiode auf Cuba, von der Stimmung im Land und von ihrer Familie. Sie ist ein Kind der Revolution, sagt sie. In den 60er Jahren geboren, ist sie in der Blütezeit des cubanischen Sozialismus aufgewachsen. „Damals, in den 80ern, haben meine Eltern nur ein Drittel von dem verdient, was wir heute bekommen und trotzdem sind wir als Familie ein Mal die Woche ins Restaurant gegangen.“ Eine ähnliche Geschichte erzählt mir Alejandro, ein pensionierter Anwalt. Er und seine Frau hätten damals in den 70ern ein großartiges Leben geführt. Jedes Jahr konnten sie in die schönsten Hotels in den Urlaub fahren, konnten sich viele schöne Dinge leisten und haben es sich gut gehen lassen. Heute haben sie ihr Haus in eine Casa Particular umgebaut und vermieten Zimmer an Touristen. „Obwohl wir heute unseren eigenen kleinen Betrieb haben, können wir noch lange nicht so gut leben wie damals!“ Und das muss was heißen, denn die Besitzer von Casas Particulares werden nicht selten als die neue Oberschicht der cubanischen Bevölkerung bezeichnet.

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Fakten statt Emotionen Teil II

Nach Teil I über Bildung und Gesundheit fokussieren wir uns hier auf Fakten im Bereich der Ökologie

Während in vielen Ländern der Regenwald gerodet wird, um den Soja-Anbau voranzutreiben, forstet Cuba auf. 27,3% des Landes sind mittlerweile wieder bewaldet, nachdem in den Jahren der kolonialen Ausbeutung der Regenwald rücksichtslos vernichtet worden war (LINK CUBA LIBRE). Der ,,ökologische Fußabdruck“, welcher sich aus dem ProKopf-Verbrauch an Ressourcen ergibt, wurde mit 150 Nationen abgeglichen. Der Human Development Index hält eine nachhaltige Entwicklung für gegeben, wenn der ökologische Fußabdruck maximal 1,8 Hektar beträgt und der HDI mindestens 0,8. Mit 0,81 auf dem HDI und einem Wert von 1,4 Hektar hat bislang Cuba als einziges Land weltweit diese Werte erreicht. Im Bericht des Global Footprint Networks werden die Hauptverursacher der weltweiten Schieflage klar benannt: EU-Bürger verbrauchen das drei- bis vierfache und US-Amerikaner sogar das 6-fache der ihnen demnach zustehenden Naturressourcen. Ein Resultat dieses Raubbaus an der Natur stellt der von Menschenhand erzeugte Klimawandel dar, dessen verheerenden Folgen sich zum Beispiel in einem Anstieg der weltweiten Naturkatastrophen zeigen. Die immer zahlreicheren und zerstörerischen Hurrikane, welche Cuba immer wieder heimsuchen, richten enorme Schäden an und so war der Staat gezwungen Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz der Bevölkerung zu realisieren, die enorme Kosten verschlangen, sich aber als erfolgreich erwiesen haben. Die Vereinten Nationen benannten Cuba als ein hervorragendes Modell im Hurrikane-Krisenmanagement.

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USA vergibt jährlich 20 000 Einwanderungsvisa an Cubaner

Abwerbungsversuche von Fachkräften sowie ihre Folgen

Überarbeitetes Personal, da zu wenig Stellen besetzt sind, neue Aufgabenbereiche, die nicht in die Felder der erlernten Berufe fallen, aber auch große Streiks und Demonstrationen gegen diese Situation, sind in Industrieländern schon lange keine Seltenheit mehr. Eine Ursache für diesen Zustand ist der durch flächendeckende Einsparungen im Bildungssystem verursachte Fachkräftemangel, der weltweit besteht. Doch über die Auswirkungen in Entwicklungsländern wird selten ein Wort verloren. Die wenigsten sind sich den Ausmaßen bewusst, die dieser Zustand mit sich bringt. Denn z.B. Angst davor zu haben nicht medizinisch versorgt werden zu können, da es keine Ärzte gibt, ist für die meisten von uns unvorstellbar.

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„Ein Kinderchirurg braucht Augen wie ein Adler, ein Herz wie ein Löwe und die gefühlvollen Hände einer Dame“

– und kann sich von seinem Gehalt am Wochenende noch nicht mal ein paar Dosen Bier kaufen-

Ich stehe mit den drei Ärzten, Junior aus Cuba, Jakob aus El Salvador und Paola aus Kolumbien  in einer der unzähligen Warteschlangen dieses Landes und führe eine spannende Unterhaltung. Zum Warten in einer Schlange wird hier übrigens „hacer cola“ gesagt. Das heißt so viel wie „Schlange machen“ und hat nichts mit Coca Cola zu tun. Überall wo man hier eine Schlange sieht, gibt es etwas Begehrtes. Z.B. wenn das Hühnchen, welches man mit der Libreta (Lebensmittelkarte) erhält, im Laden an der Ecke angekommen ist oder, wenn man wie in unserem Fall vor einem Telekommunikationsladen wartet. Man kommt in der „cola“ oft schnell ins Gespräch – mit verschiedensten Leuten – so wie auch jetzt mit dem Kinderchirurg Junior, den ich eben erst kennen gelernt habe. Er meint, dass es nicht leicht sei. Sie bekämen alle Notfälle, was verunglückte Kinder aus dem Umkreis von Havanna angeht. Das Schlimmste seien die Familienangehörigen, die oft schon eine Prognose wissen wollen, bevor er sie geben könne. Und dann der zusätzliche Druck, den sie durch alle ihre Fragen aufbauen, vor und nach der Operation. Er sagt:

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Gespaltene Meinungen

Wie der Tourismus die kleine Karibikinsel beeinflusst

Bisher habe ich Cuba stets aus der Perspektive einer europäischen Studentin erlebt. Doch jetzt, wo mich meine Eltern für drei Wochen besuchen, lerne ich eine andere, neue Seite kennen. Nämlich die eines Touristen. Wir steigen aus dem Truck, der uns nach einer kleinen Wanderung abholte und zu unserem Reisebus brachte. An dem Treffpunkt stehen noch weitere, auf ihre Gruppen wartenden Busse, sowie Verkäufer in Buden, die ihre Souvenirs und Leckereien anbieten, um den Reisenden die Weiterfahrt zu versüßen. Meine neugierigen Eltern haben nach dem Analysieren der Auslageflächen, den Blick auf die in Plastikfolie eingewickelten Erdnussriegel geworfen. Als ich den Preis höre, stutze ich. 2 CUC für einen Riegel?! Das kann nicht sein, ich hatte dafür doch immer nur 0,25 CUC ausgegeben. Doch schnell begreife ich, dass ich bisher nie die Touristenpreise bezahlt hatte, denn als Studentin mit einer temporären Aufenthaltsgenehmigung, bewege ich mich in dem Umfeld von Preisen, die sich auch Cubaner – ausgehend von ihrem monatlichen Lohn – leisten können.

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Der Mann, der John Lennon die Brille aufsetzt

Über Aktualisierungen und Massenentlassungen

Im Stadtteil Vedado von Havanna, nah der angesagten 17. Straße, sitzt John Lennon auf einer Bank – zumindest könnte man das denken, wenn man Nachts aus dem Club „Submarino Amarillo“ (Yellow Submarine) stolpert.  Steht man tagsüber vor der lebensgroßen Bronzestatue, erhebt sich ein alter Mann von der Bank nebenan, nähert sich mit langsamen Schritten und setzt John Lennon eine Brille mit den typischen runden Gläsern auf. Das ist sein Job, dafür wird er bezahlt.

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Wer hätte das gedacht? Keine schicken Hemden aber ein Gespräch mit dem Zentralkomitee

Wir treffen Oscar Martínez

Wer hätte gedacht, dass wir bei unserem Cuba-Aufenthalt ein gutes Hemd brauchen? Ich nicht. Wozu? Ich brauchte bisher noch nie eins. Aber nun finde ich mich in einem der wenigen Läden in Havanna wieder, in dem man Hemden kaufen kann. Leider ist die Auswahl weder groß, noch besonders schön und ich verlasse unverrichteter Dinge den Laden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man einen Repräsentanten eines Arbeiter- und Bauernstaates nicht in Hemd und Kragen begegnen muss, vielleicht auch nicht gerade in Flip-Flops, aber Jeans und Sweatshirt müssen genügen.

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